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AUSGABE Nr. 34: Mai – Juni 2012

VAE-Filmindustrie kämpft um Anerkennung
"Von einem emiratischen Filmmarkt kann noch nicht die Rede sein"

Als visionärer Vorreiter sehen sich die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) häufig gern selbst. Hinsichtlich eines eigenständigen etablierten Filmbusiness allerdings liegt das Land noch in der Zeit zurück. In den vergangenen zehn Jahren wurden nur vier Spielfilme aus einheimischen Produktionen veröffentlicht. Mit dieser Bilanz wollen sich zwei Filmenthusiasten nicht zufrieden geben. DiscoverME-Redakteurin JASMIN DAKA traf die erste weibliche Filmemacherin der VAE, NAYLA AL KHAJA, und  sprach mit dem Filmproduzenten ALI MANSOOR AL ALI.

Anspruch und Ziel Nayla Al Khajas und Ali Mansoor Al Alis ist es, Spielfilme mit einheimischem Charakter auf die Leinwand zu bringen. Zwei bis drei Spielfilme im Jahr sollen es sein, definieren sie selbstbewusst ihr mittelfristiges Ziel. Nayla Al Khaja ist Businessfrau und Filmenthusiastin. In beiden Lebensbereichen ist sie erfolgreich und kann auf eine Reihe von Auszeichnungen blicken. Die letzte Ehrung erhielt sie Anfang dieses Jahres als erste weibliche Filmproduzentin in den VAE. Das „Arabian Business Magazine“ zählte sie zu einer der 100 einflussreichsten arabischen Frauen 2012. Wie fühlt es sich an, als Filmemacherin in einem Atemzug mit  Nobelpreisträgerinnen, Scheichas und Top-Managerinnen genannt zu werden? „Es ist eine Ehre für mich und  bürdet mir eine große Verantwortung auf“, sagt die junge Frau. „Ich stehe erst am Anfang meiner Karriere und es ist noch so viel Arbeit vor uns. Aber es macht mich stolz zu sehen, was wir schon erreicht haben.“ Für ihre Produktionen war sie in der Rolle der Produzentin und Regisseurin tätig, schrieb Drehbücher und stand selbst vor der Kamera. Ihre Agentur „D-SEVEN  Motion Pictures“ in Media City produziert unter anderem TV-Werbespots und Firmenporträts für große Unternehmen.  „Als Geschäftsführerin muss ich natürlich die finanzielle Seite beachten“, sagt die taffe Frau.  Es liege ihr aber vor allem am Herzen, die unabhängige Filmlandschaft in der Region zu stärken. „Ironischerweise zeigen die arabischen Kinos eine Menge Independent-Filme aus Großbritannien und Europa allgemein. Das vorhandene Input von lokalen Filmemachern erreicht den Distributionsmarkt nicht.“ Um diese Lücke zu überwinden, hat sie eine Plattform etabliert: Der Film-Club „Aflam“ stellt der Community in Abu Dhabi jeden Monat arabische Independent-Filme vor. Die Filmemacher werden eingeladen und dazu wird Raum für Diskussionen und Meinungsaustausch geboten.

Ihre eigenen bisherigen Kurzfilme „Malal“, „Arabiana“ und „Once“ wurden von Kritikern und Publikum gleichermaßen gelobt. Im Moment arbeitet sie an ihrem ersten Werk in Spielfilmlänge, welches sie als Lehrstück ansieht: „Sobald das Werk abgeschlossen ist, werden wir wissen,  woran wir in Zukunft arbeiten müssen, wofür der Markt geschaffen ist und wohin die Nachfrage tendiert“. Das Spielfilm-Erstlingswerk dreht sich um eine wahre Begebenheit in Sharjah. Dort wurde ein Junge verdächtigt, von bösen Geistern besessen zu sein.  Exorzismus in der islamischen Kultur – neben Kindesmissbrauch, arrangierten Hochzeiten und heimlichen Liebesbeziehungen reiht sich diese Geschichte in die Liste jener  gesellschaftlichen Tabu-Themen ein, die Nayla Al Khaja filmisch verarbeitet. Dabei liebt sie es vor allem, ihren Inhalten innerhalb einer bestimmten Atmosphäre Ausdruck zu verleihen. „Bei mir endet es oft in düsteren Bildern“, lacht sie und zeigt auf ein großes Filmplakat hinter sich: „The Clockwork Orange“. Stanley Kubricks Klassiker inspirierte sie ebenso wie es die Kunstwerke Salvador Dalis und das Bollywood-Kino tun.

Den ortsverbundenen Charakter erhalten ihre Filme nicht nur durch lokale Themen, auch das Team rekrutiert sie aus nahezu vollständig einheimischen Talenten.  Gleichzeitig will sie sich jedoch nicht vor dem internationalen Einfluss des über 200 Nationen umfassenden Landes verschließen: „Unser Ziel ist es, einen gemischten Pool aus diversen talentierten Filmbegeisterten zu schaffen“, sagt sie und nennt dabei auch „hippe, junge Deutsche“, mit denen sie zusammenarbeitet.
Sie selbst hatte einige Hürden zu überwinden, ehe sie ins Filmgeschäft einsteigen konnte. Aufgrund fehlender Filmausbildungsstätten zog es die junge Frau nach Kanada, wo sie die Universität mit einem Bachelor in Filmgestaltung abschloss. Außerdem wurde sie mit weiteren Schwierigkeiten konfrontiert, da am Verhandlungstisch stets ein männlicher Stellvertreter für sie sprechen musste. Nayla Al Khaja kann sich noch gut an den Moment erinnern, als sie sich endgültig als Filmemacherin akzeptiert und in ihrer Arbeit respektiert fühlte. „Im Jahr 2005, als ich meinen ersten Dokumentarfilm ‚Unveiling Dubai‘ auf dem Dubai International Film Festival vorstellte und Scheich Nahyan die Eröffnungsrede hielt, wusste ich: Ich werde erfolgreich sein, denn ich habe den Segen und die Unterstützung dieser einflussreichen Person, die für viele von uns wie eine Vaterfigur ist. Es war sehr ehrenvoll für mich und gab mir und meinem Vorhaben großen Ansporn.“ Bildung und Gleichberechtigung, appelliert sie deshalb, sind der Schlüssel für einen wachsenden und fairen Wettbewerb im Filmwesen.

Heute gibt es in den VAE eine Reihe privater Bildungseinrichtungen im Medienbereich, beispielsweise die „Manhattan Film Academy Dubai“ oder die „New York Film Academy Abu Dhabi“. „Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass es die Aufgabe der Regierung sein muss, Ausbildung und finanzielle Mittel für die Filmbranche bereitzustellen“, betont Nayla Al Khaja. Eine solche regierungsgestützte Medieninstanz, die das lokale Film- und Fernsehwesen in den Emiraten aufbaut, ist die „Abu Dhabi Film Commission“. Sie bietet zielgerichtete Unterstützung bei Filmprojekten hinsichtlich technischer Ausstattung, erfahrener Teams und Drehgenehmigungen. Idealerweise findet man hier die passende Crew bzw. die passende Produktionsfirma für ein gemeinsames Projekt. Seit November 2011 gehört auch die erste von einem Emirater geführte Produktionsfirma dazu. Die „Arabian Studios“ unter Geschäftsführer Ali Mansoor Al Ali bildet damit die erste nationale Filmgesellschaft der VAE, welche die Dreharbeiten von  Werbespots und Spielfilmen  einheimischer Filmemacher unterstützt.

Anfang des Jahres war Nayla Al Khaja zu Besuch auf der Berlinale. Ihr Traum ist es, in ein paar Jahren auch die VAE auf internationalen Filmfestivals vertreten zu sehen. Während Nayla noch träumt, ist Ali Mansoor Al Ali stolz darauf, seine aktuelle Produktion „Wahdon“ auf dem Cannes-Filmfestival vom 16. bis 23. Mai vorzustellen. Der Film erzählt die Geschichte der französischen pro-palästinensischen Aktivistin FRANÇOISE CASTERMANN, die bei einer Friedensaktion ums Leben kam. Nach ALI MOSTAFA‘S „City of Life“, der die größte internationale Aufmerksamkeit erhielt und „Sabeel“ von KHALID MAHMOUD, der beim Gulf Film Festival 2011 den ersten Preis belegte, ist „Wahdon“ nun der nächste, Erfolg versprechende Streifen aus der Golfregion.

Hollywood- Produktionen wie „Mission Impossible 4“ und „Syriana“ haben es gezeigt: Die Golfregion ist ein attraktiver Schauplatz für Kino-Blockbuster. Das wollen nun auch die einheimischen Filmenthusiasten für sich nutzen und appellieren an die Regierung, die eigene Filmwirtschaft anzukurbeln. Nayla Al Khaja wünscht sich, dass die einheimische Filmlandschaft noch stärkere staatliche Fördermaßnahmen erfährt, um in Zukunft am weltweiten Wettbewerb teilhaben zu können. Von der Regierung subventionierte Fördermaßnahmen würden der lokalen Filmindustrie zu mehr Wettbewerb verhelfen. Finanziert werden müssen ihre Vorhaben vorerst durch private Gelder, da es bisher von behördlichen Seiten keine großen Anstrengungen gibt, die einheimische Spielfilmindustrie zu unterstützen. „Niemand gibt dir große finanzielle Hilfe, um einen Film zu verwirklichen, solange du nicht mindestens schon einen Film vorweisen kannst und die Geldgeber wissen, wohin sie investieren“, erklärt Nayla Al Khaja ihr Dilemma. Sie wünscht sich mehr Produzenten im Land. „Wenn du keine Produzenten hast, fällt die Aufgabe der Geldbeschaffung auf dich zurück. Das ist eine immense Belastung und Hemmschwelle für den gesamten Filmherstellungsprozess. Ein Regisseur sollte sich auf den künstlerischen Aspekt des Films konzentrieren.“ Die nötige Finanzierung zu regeln ist für Ali Mansoor Al Ali eine leichte Aufgabe, sagt der Filmproduzent selbst. Er seinerseits ist auf der Suche nach kreativen engagierten Filmemachern mit interessanten, ortsverbundenen Themen. Offensichtlich scheint der Markt auf beiden Seiten vorhanden zu sein. Nachfrage und Angebot haben bisher aber noch nicht ihr Gegenstück gefunden – denn Nayla Al Khaja und Ali Mansoor Al Ali kannten sich vor den DiscoverME-Gesprächen noch nicht. Wir sind gespannt, was aus dieser Kontaktverbindung hervorgeht.

Herr Al Ali, wie sind Sie in das Filmwesen eingestiegen?

Studiert habe ich Luftingenieurwesen, mein großes Interesse galt aber schon immer dem Filmbusiness. Durch Zufall kam ich in Kontakt mit einem englischen Kamerateam, das einen ortskundigen Führer suchte – ich zeigte ihnen die Gegend und wurde Mitglied des Teams. Eine Weile jobbte ich dann als selbstständiger Fotograf.  Da ich keine Möglichkeit sah, mich hier weiterzubilden, ging ich schließlich nach Frankreich. Arabian Studios hat heute neben Paris Niederlassungen in London, Mailand und Beirut.

Wie sehen Sie die Entwicklung des lokalen Filmgeschäfts?

Das Filmwesen in der Golfregion ist noch in den frühen Anfängen, aber ich sehe eine Menge Bewegung. Das macht mich als Einheimischen sehr stolz. In der Ausbildung geht es nicht nur darum, einen guten Universitätsabschluss zu erlangen. Es ist eine Herzenssache, Filme zu produzieren. Ich bin dabei, wenn das Projekt von Anfang bis Ende aufwächst. In gewisser Hinsicht sehe ich mich als Lehrer oder Vater, der den Nachwuchs hier großzieht. Ich unterstütze alle jungen Filmemacher in ihren Bestrebungen. Deshalb liegen mir die Kurz- und Independent- Filme auch mehr am Herzen als TV-Werbespots, von denen wir mittlerweile schon über 500 produziert haben, unter anderem für Pepsi, Hugo Boss, Mercedes und Chanel.

Wie sieht die Arbeit Ihrer Produktionsfirma aus? Das Hauptziel von Arabian Studios ist es, die aufkommende Kunstszene der Filmgestaltung in den VAE zu unterstützen. Die Filmemacher haben Ideen, aber meist noch keine Erfahrung. Wir stellen die Plattform für die internationale Zusammenarbeit zur Verfügung – das heißt, lokale Talente können durch unsere Partnerbasis Kontakt zu internationalen Profis herstellen. Durch diese Kooperation gewinnt die Szene an Aufschwung und Bedeutung. Mit über zehnjähriger Erfahrung in der Unterhaltungsindustrie kann Arabian Studios auf eine Reihe internationaler Kooperationen zurückblicken, deren Kontakte wir nun an die jungen einheimischen Filmemacher weiter vermitteln. Filme wie „Arabia Felix“, „The Survivor“ oder „Angels of Life“ aus unserer Produktion haben die Region bereits als Zukunftsmarkt angekündigt. [JD]